Wüstes Herz im Ascheregen – zum 80. Geburtstag von Wolfgang Hilbig

Wüstes Herz im Ascheregen – zum 80. Geburtstag von Wolfgang Hilbig

Wolfgang Hilbig liest 2003 in der Aula der Bibliothek am Wasserturm privat

„die hand im haar so hockt er

ruhlos am tisch

und ahnt nicht daß die herbstnacht

die luft an seinem nacken dunkel färbt

er sitzt auf dem sprung er sagt ich bin

solitär

und müde bin ich bin mir selbst

entflohn (so hockt er am tisch der fremde

wenn ich allein im zimmer bin“

Am 31. August wäre Wolfgang Hilbig, einer der sprachgewaltigsten und eindringlichsten Autoren der deutschen Sprache, 80 Jahre geworden.  1941 in Meuselwitz/Thüringen in einfachen Verhältnissen geboren. Der Geburtsort und die Umgebung tauchen später in seinen großen Erzählungen (Alte Abdeckerei) als düstere apokalyptische Landschaften auf, geprägt durch Krieg, Geschichte und Gegenwart.

  “ …in der Dämmerung vermischte sich der Wald mit seinem Vorgelände, der Wald trat über die Ufer und wuchs langsam in die Müllhalden hinein ….“

Diese vergifteten Landschaften, zu der damaligen Zeit noch Folge des Krieges, aber auch durch Misswirtschaft und Verwahrlosung im real existierenden Sozialismus entstanden, erscheinen heute,  im Zeichen der Klimakatastrophe und den durch den globalen Kapitalismus hervorgerufenen gesellschaftlichen Verwerfungen aktueller denn je.

Schon in seiner Schulzeit beginnt er erste kleinere Texte zu verfassen. Nach dem Abschluss der 8. Klasse begann er 1956 eine Lehre als Bohrwerkdreher, doch der Beruf interessiert ihn nicht und um dem trostlosem Alltag zu entfliehen wird für ihn das Schreiben und die Beschäftigung mit Literatur immer wichtiger. Obwohl er auf der einen Seite die Welt der Arbeit hasste, spielte sie doch in vielen seiner späteren Texte eine entscheidende Rolle.

„Ich wollte mit der Wirklichkeit, in der ich lebte, nichts zu tun haben und habe es lange vermieden, darüber zu schreiben. Erst später ist mir klar geworden, dass diese Industriewelt inmitten von urwaldartigen Braunkohlewäldern Bilder erzeugt. …. Es entstand eine Spannung zwischen dem, was in mir passierte, und dem Äußeren.“

Nach dem Ableisten der Armeezeit war er in verschiedensten Berufen tätig, unter anderem als Werkzeugmacher, Montagearbeiter und als Heizer. Auch diese Erfahrungen tauchen immer wieder in seinen poetischen Texten auf.

„im düstern kesselhaus im licht

rußiger lampen plötzlich auf dem brikettberg

saß ein grüner fasan

ein prächtiger clown „

Die Versuche, seine Texte in der DDR zu veröffentlichen, scheitern bis auf einzelne wenige Gedichte. 1979 erscheint der Lyrikband „Abwesenheit“ im S.Fischer-Verlag in der Bundesrepublik.

„wie lang noch wird unsere abwesenheit geduldet

keiner bemerkt wie schwarz wir angefüllt sind

wie wir in uns selbst verkrochen sind

in unserer schwärze“

Der kafkaesk wirkende Briefwechsel zwischen Wolfgang Hilbig und den DDR-Behörden und Ministerien über eventuelle Veröffentlichungen und Verbote ist gerade unter dem Titel „Ich unterwerfe mich nicht der Zensur“ erschienen. Er schreibt 1981 an den Minister für Kultur Klaus Höpcke:

„Die völlige Abwesenheit von Kritik, die Verachtung jeder künstlerischen Äußerung, die ihre Existenz außerhalb der Nutzungsdiktatur, des Unterwürfigkeitsdenkens prostituierend wechselnder Ideologieansprüche zu stellen gewillt ist, die einer solchen Verachtung immanenten Möglichkeiten, Kunst zu vernichten, die durch keine Proklamation zu bannen sind – und in deren Bewusstsein ich ihnen, geehrter Minister erneut schreibe, aus reinem Selbsterhaltungstrieb schreibe – der Unwille zu einem Dialog schließlich, dessen Abfälle, verbale Metastasen sich in gegenseitig bedingter Illegalität winden, hat in diesem Lande, in der DDR , zu einem Feindbild von der Poesie geführt, das ich für beispiellos halte. ….“

 

Durch die Intervention und Führsprache einiger Schriftsteller, besonders von Franz Fühmann konnte dann doch der Sammelband „Stimme, Stimme“ im Herbst 1983 im Reclam Verlag Leipzig erscheinen, es ist die einzige größere Publikation von Wolfgang Hilbig in der DDR.

 

1985 reist Wolfgang Hilbig in die BRD aus und diese Odyssee zwischen Ost und West wird zu einem weiteren prägenden Merkmal seiner Literatur, im Osten kaum gedruckt, fühlt er sich im Westen oft missverstanden. In schonungsloser Offenheit schildert Hilbig diese Situation der Entwurzelung und Verzweiflung, die ihn fast an den Rand der Selbstzerstörung treibt, in dem Roman „Das Provisorium“. Nach dem Ende der DDR zieht Wolfgang Hilbig in den Prenzlauer Berg und lebt bis zu seinem Tod 2007 die meiste Zeit in der Metzer Straße. Nachdem Wolfgang Hilbig 2002 den Georg-Büchner-Preis erhalten hatte, konnte die Bibliothek am Wasserturm 2003 eine große Lesung aus seinem letzterschienenen Erzählband „Der Schlaf der Gerechten“ in der Aula organisieren.

Am 31. August 2021 um 20 Uhr werden wir auf dem Hof der Bibliothek am Wasserturm (Prenzlauer Allee 227/228) den 80. Geburtstag von Wolfgang Hilbig mit einer musikalisch-poetischen Radioshow von Rex Joswig (Musiker/Herbst in Peking , Radiomoderator /Grenzpunkt 0) feierlich und wild begehen.

„die großen feuer sind zu tode gereift

wenn kein lächeln eintrifft aus der höhe

wenn in die niederungen der nebel dringt

das weiße verbluten des herbstes über den lagern

oh wir hatten steine um unser ende gehäuft

und die idee der zugbrücken

nach dem letzten der siege in schnaps ersäuft“

 

Im S.Fischer-Verlag ist gerade der letzte Band der 7- Bändigen Werkausgabe von Wolfgang Hilbig erschienen.

https://www.fischerverlage.de/autor/wolfgang-hilbig-1001386

Ansonsten kann man natürlich auch viele Einzelausgaben in den Beständen unserer Bibliotheken finden

Lyrik

Erzählungen und Romane

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