Cho Nam-Joo „Kim Jiyoung, geboren 1982“ – vom Alltäglichen der Ungleichheit
Heute, am 8. März, feiern Frauen weltweit den Internationalen Frauentag, bekommen Blumen geschenkt, werden geehrt. Doch gibt es wirklich Grund, zu feiern? Wie sieht es an den anderen 364 Tagen des Jahres aus? Können wir uns zurücklehnen und uns über Gleichberechtigung und Chancengleichheit freuen? Stehen tatsächlich allen Geschlechtern die gleichen Türen offen oder schnappt dem weiblichen Geschlecht, Grundgesetz hin oder her, nicht doch eher nach einem kurzen Blick hinter die geöffnete Tür die selbige mit lautem Knall vor der Nase zu…spätestens dann nämlich, wenn die Entscheidung gefallen ist, eine Familie zu gründen?
Die südkoreanische Autorin Cho Nam-Joo hat mit ihrem vorliegenden Buch einen bemerkenswert sensationellen Erfolg hingelegt, der schlagartig zum Weltbestseller avancierte. „Kim Jiyoung, geboren 1982“ erzählt vom Aufwachsen und dem Werdegang einer Frau in Korea – und erzählt doch gleichzeitig die Geschichte der meisten Frauen…weltweit. Denn es ist die ewig gleiche Geschichte eines schier undurchbrechbaren Kreislaufes, in dem Frau sich wiedererkennt. Nein, dieses Buch ist kein kämpferischer, feministischer Text – es ist vielmehr eine sehr nüchterne Beschreibung eines vorgezeichneten Weges…und gerade darum so eindringlich. Die New York Review of Books drückt es treffend aus:
„Man muss sich die millionenfach verkauften Exemplare dieses Buches als eine Art Mitgliedsausweis vorstellen, der die kollektive Erfahrung der Erniedrigung von Frauen belegt.“
Schon während Jiyoungs Zeit im Mutterleib ist die Nebenrolle ihres Lebens bereits festgeschrieben, sollte sie nach Vorstellung ihrer Eltern doch eigentlich besser ein Junge werden. Denn Jungen und Männer besitzen in Korea einen höheren Stellenwert und genießen deutlich mehr Privilegien. Oft werden Föten abgetrieben, wenn sie weiblich sind. Bereits als kleine Mädchen werden Jiyoung und ihre Schwester Unyoung dazu erzogen, ihre eigenen Bedürfnisse hintenan zu stellen, sich um den Bruder zu kümmern, hilfsbereit und aufopferungsvoll den zweiten Platz einzunehmen. Bescheiden und selbstlos sollen sie sein – dass die Frauen der Familie die Zukunft und Ausbildung der Männer garantieren und finanzieren, ist selbstverständlich und wird erwartet. Sexuelle Belästigung in der Schule oder männliche Übergriffigkeiten abends auf der Straße müssen still geschluckt und ertragen werden: die vermeintliche „Schuld“ daran tragen die Opfer selbst.
Wer eine höherwertige Ausbildung und Erfolg im Beruf anstrebt, muss als Frau und Mädchen härter dafür arbeiten als die männlichen Zeitgenossen. Und egal, wie hart der Kampf auch ist, wie leistungsfähig und flexibel Jiyoung in ihrem späteren Beruf agiert: das höhere Gehalt beziehen selbstverständlich und unantastbar ihre männlichen Kollegen. Unter allen OECD-Staaten ist das Lohngefälle der Geschlechter in Korea am größten: auf ein Einkommen der Männer von 1000 Dollar kommt ein weibliches Einkommen von 633 Dollar.
Und auch diese festgeschriebene und ungerechte Rahmenbedingung ist es, die dafür sorgt, dass es natürlich Jiyoung ist, die nach der Geburt ihres ersten Kindes ihren Beruf aufgeben wird. Welch endgültige Auswirkungen diese Entscheidung auf ihr weiteres Leben hat, findet in ihrer Ehe keine Beachtung, auch wenn Jiyoung die Frage in den Raum stellt:
„Du meinst, ich solle nicht nur an das denken, was ich verlieren würde. Ich werde vielleicht alles verlieren, meine Jugend, meine Gesundheit, mein soziales Umfeld genauso wie meine Arbeitsstelle, meine Kollegen, meine Freunde und meine Zukunft, ja alles. Aber was verlierst du?“
Und so wie das Implizieren von Schuldgefühlen verlässlich funktioniert, so fällt auch die Entscheidung: ihr Mann Daehyon wird zum alleinigen Ernährer der Familie, Jiyoung degradiert zur Hausfrau. Mit welcher Doppelmoral und Geringschätzigkeit dagegen die Gesellschaft Hausfrauen und ihren harten, arbeitsreichen Alltag betrachtet, ohne jegliche Anerkennung und Wertschätzung, ist bedrückend und desillusionierend.
„Wahrscheinlich hatten sie Sorge, dass jemand dafür bezahlen müsste, wenn man dafür erst einmal einen Lohn ermitteln würde.“
All diese chronologischen Abläufe sind es, die Jiyoung schließlich die Zuversicht verlieren lassen. Sie verändert ihr Wesen, sie entwickelt Psychosen, verliert sich selbst und spaltet ihre Persönlichkeit auf in verschiedene andere weibliche Personen ihrer Familie.
Und so ist es letztendlich weit mehr als eine Metapher dafür, wie Frauen angesichts der mal leisen, mal lauten Misogynie weltweit buchstäblich darüber „den Verstand verlieren“ können.
Wie verstärkt dies gerade jetzt in der Pandemie stattfindet, ist unübersehbar und erfordert unmissverständliches und energisches Gegensteuern!
Und so schließt die Autorin ihren Roman mit den hoffnungsvollen Worten für ihre Tochter:
„Ich glaube, die Welt, in der sie leben wird, wird besser sein als meine, und dafür kämpfe ich. Ich hoffe, alle Töchter dieser Welt können noch größer, höher und weiter träumen.“
Jeder Tag ist Frauentag!