Von Flucht, Exil und Sehnsucht: Volker Weidermann „Brennendes Licht. Anna Seghers in Mexiko“

Von Flucht, Exil und Sehnsucht: Volker Weidermann „Brennendes Licht. Anna Seghers in Mexiko“

Buchcover von Volker Weidermann "Brennendes Licht. Anna Seghers in Mexiko", drapiert auf einer bunten mexikanischen Decke

„Ausruhen, ausruhen. Vielleicht für immer. Hier im Licht. Ist das nicht angenehm? Nicht mehr kämpfen, nicht mehr diese Berge hinauf, immer wieder diese Berge. Still sein. Warten. Liegen. Vielleicht kommt die Welt ja zu ihr. Ganz von allein. Vielleicht ist alles ein Missverständnis. Vielleicht ist das Leben in Wahrheit gar kein Kampf. Und alles, was geschehen soll, geschieht. Sie kann hier einfach nur liegen. Und schauen. Und warten. Vertrauen. Das wäre ein Traum. Der Welt vertrauen. Vielleicht wird einfach alles gut, ganz ohne ihr Zutun, ohne ihren Kampf.“

Es ist ein schwerer Autounfall, der Anna Seghers im Jahr 1943 in diesen Zustand des Abwartens, der Handlungsunfähigkeit, der Schutzlosigkeit zwingt. Dem vorangegangen ist die seit 1933 andauernde Flucht aus Europa vor den Nationalsozialisten: über die Schweiz, Frankreich, Martinique, New York, bis schließlich hierher nach Mexiko.

2 Jahre lebt sie nun schon mit ihrer Familie hier im mexikanischen Exil. Die bekennende kommunistische jüdische Schriftstellerin Anna Seghers, 1900 geboren als Netty Reiling, wollte eigentlich nach New York- die Zuflucht dort wurde ihr jedoch aus politischen Gründen verweigert. Erschöpft erreicht sie die mexikanische Fremde:

„Es gibt ja Länder, mit denen man vertraut ist, ohne sie gesehen zu haben. Sie erregen einen. Gott weiß, warum! (…) An Mexiko ging mich nichts an. Nichts war mir an diesem Land vertraut. Ich hatte nie etwas über das Land gelesen: ich hatte auch nichts über das Land gehört, was mir besonders im Gedächtnis geblieben wäre. Ich wusste, es gab dort Erdöl, Kakteen, riesige Strohhüte…“

Die sechs Jahre, die sie dort verbringen wird, werden jedoch zu den prägendsten in ihrem Leben gehören – erst 1947 wird sie das Land wieder verlassen. 

Ihr Roman „Das Siebte Kreuz“, eines der ersten Bücher über die Schicksale in Konzentrationslagern, welcher sie schlagartig weltberühmt machte, erschien erstmals 1942 in den USA auf englisch und im mexikanischen Exilverlag „El Libro Libre“ auf deutsch.

„Das siebte Kreuz, dieses große literarische Kunstwerk, ist ein Roman gegen die Diktatur schlechthin.“ – so sagte der bedeutende Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, den dieses Buch in seinem eigenen Schaffen stark beeinflusste und den Entschluss reifen ließ, Kritiker zu werden und sich der deutschen Literatur zu widmen.

Noch auf dem Krankenbett liegend beginnt Anna Seghers jedoch einen neuen Text zu schreiben, einen Text, der wohl zum persönlichsten zählt, den sie jemals geschrieben hat: „Der Ausflug der toten Mädchen“. Es ist ein nachdenkliches Buch, offen und verletzlich, durchzogen von Kindheitserinnerungen und den späteren teils tragischen Schicksalen ihrer Freundinnen. 

„Es ist, als habe ihr in diesen Tagen jemand die Schutzdecke weggezogen, die sie behütet und gewappnet hat in all den Jahren zuvor und in all den Jahren, die noch kommen werden. Was sie erzählt und schreibt in diesen Tagen, ist wie eine Vision ihres frühen Lebens, Kern dessen, was sie ausmacht, ihre Ängste, ihre Hoffnungen, ihre Müdigkeit und schließlich wieder: ihr Sich-selbst-Bezwingen…Näher ist sich Anna Seghers in ihrem Schreiben nie gekommen…“

Auch die stete Sorge um das ungewisse Schicksal ihrer Mutter, die zurückblieb in Deutschland, eine dunkle Ahnung, treibt sie um. Dass jene bereits 1942 in das Konzentrationslager Piaski in Polen deportiert und ermordet wurde, erfährt sie erst nach Ende des Krieges.

Volker Weidermanns Buch ist eine literarische Spurensuche über das Leben im Exil und bringt uns eine sehr menschliche Anna Seghers nahe, in all ihren Facetten: als Ehefrau und Mutter, als Tochter und Freundin, als Autorin und Kommunistin. Ihre Begegnungen in der „Szene“ von Mexiko-City könnten nicht interessanter sein: mexikanische Künstler wie Diego Rivera und Frida Kahlo, der chilenische Dichter Pablo Neruda, deutsche Exilanten wie Walter Janka, Egon Erwin Kisch und Bodo Uhse, die tschechische Schriftstellerin Lenka Reinerová…

Jedoch herrscht auch in diesen Kreisen keine Unbeschwertheit, im Gegenteil: das Klima ist stets geprägt von Misstrauen und Angst vor Bespitzelung.

„Die Situation dieser Emigranten in Mexiko war wirklich von einer permanenten Lebensgefahr geprägt“, sagt Weidermann. „Einerseits hatte man den Krieg und Europa hinter sich gelassen, die Flucht war irgendwie geglückt und trotzdem, auch für die Kommunisten: Stalins Arm reichte weit, Trotzki war kurz vorher ermordet worden, in Mexiko.“

Es ist ein Leben voller Widersprüche und dennoch: Anna Seghers ist „sehr gern hier“. Die Schönheit der Landschaft, der Rausch der Farben, das gleißende Licht – all das wird sie nie wieder loslassen. Noch Jahrzehnte später wird sie sich in ihren Werken immer wieder daran erinnern.

„Und alles getaucht in das unvergleichliche Licht einer Sonne, die nicht nur auf Gerechte und Ungerechte scheint, wie überall, auf Ausgebeutete und Ausbeuter, sondern vor allem für die Künstler zu scheinen scheint, wenn sie, in der Tiefe tropisch, auf der Höhe hochgebirgshaft geläutert, die Farben und Formen zugleich heraustreibt. Ein zum Malen und Bildhauern anreizendes Licht, wie man es nur an wenigen Stätten der Erde findet, die große Künstler hervorgebracht hat.“

„Ein phantastisches Licht, ein einmaliges Licht auch zum Schreiben.“

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