1.10.: Online-Besprechung von Mario Vargas Llosas „Der Geschichtenerzähler“

1.10.: Online-Besprechung von Mario Vargas Llosas „Der Geschichtenerzähler“

Foto von Mario Vargas Llosa
Foto von Hrein Gudlaugsson. CC-BY-SA

Die Stadtbibliothek Pankow und MigrArte Peru
freuen sich, Sie im Rahmen der Interkulturellen Woche Pankow 2020
zu einem literarischen Abend einzuladen:

Präsentation und Diskussion (Zoom-Veranstaltung) des Romans
Der Geschichtenerzähler (El Hablador, 1987)
des peruanischen Autors und Nobelpreisträgers Mario Vargas Llosa
in der deutschen Fassung von Elke Wehr
am Donnerstag, den 01.10.2020 um 19 Uhr.
Referat und inhaltliche Leitung der Veranstaltung: Dr. Raquel García-Borsani
(Literaturwissenschaftlerin, Übersetzerin)

Link zur Veranstaltung auf Zoom
Zoom Meeting-ID: 847 0112 3814 Kenncode: 301091.

Wiederholung der Veranstaltung am 8.10. auf Spanisch

Um im Gehen zu leben, mussten sie zuvor leicht werden und alles zurücklassen, was sie besaßen. Die Wohnungen, Tiere, Saatfelder, die Fülle, die sie umgab. Den kleinen Strand, wo sie die Schienenschildkröten mit dem salzigen Fleisch umdrehten; den Wald, der von singenden Vögeln wimmelte. Sie nahmen das Unerlässliche und brachen auf. War er eine Strafe, der Gang durch den Wald? Eher ein Fest wie der Fischfang oder die Jagd in der trockenen Jahreszeit. Sie behielten ihre Pfeile und Bogen, ihre Hörner mit dem Gift, ihre Röhren mit Orleantinktur, ihre Messer, ihre Trommeln, die Cushmas, mit denen sie bekleidet waren, die Beutel und Stoffstreifen, um die Kinder zu tragen. Die Neugeborenen kamen im Gehen zur Welt, die alten starben im Gehen. Wenn es hell wurde, bewegte sich das Gezweig im Vorbeigehen ihrer Körper, waren sie schon da, einer nach dem anderen, und gingen und gingen, die Männer mit den schussbereiten Waffen, die Frauen mit den Trögen und Körben, die Augen aller auf die Sonne gerichtet. Wir haben die Richtung noch nicht verloren. Die Hartnäckigkeit wird uns also rein erhalten haben. Die Sonne ist nicht herabgestürzt, sie stürzt nicht bis zu Ende. Sie kommt und geht wie die Seelen, denen Glück beschieden ist. Sie wärmt die Welt. Die Menschen der Erde sind auch nicht gestürzt. Hier sind wir. Ich in der Mitte, ihr um mich herum. Ich, der ich spreche, ihr, die ihr zuhört. Wir leben, wir gehen. Das ist das Glück, so scheint es.” (Der Geschichtenerzähler, 1990: 49, 50)

Das Buch – In diesem Roman beschäftigt sich der Autor mit dem gefährdeten Volk der Machiguengas im Regenwald im Osten Perus. Die Problematik des schmerzhaften Konflikts zwischen dem “modernen” Peru der Städte der Pazifikküste und den mehr oder weniger rückständigen Regionen der Anden (“Sierra”) und des Amazonien (“Selva”) war schon immer präsent in seinen kritischen Darstellungen der peruanischen Wirklichkeit. Vargas Llosa fand aber, dass die meisten Autoren und Strömungen des sogenannten “literarischen Indigenismus” in Peru bei dem Versuch gescheitert waren, ein historisch-politisch angemessenes und literarisch universell gültiges Bild der Indios zu vermitteln. Einzige Ausnahme war für ihn der Roman Die tiefen Flüsse (1958) des von ihm bewunderten Landsmannes José María Arguedas. Drei Jahrzehnte nach dem Erscheinen von Die tiefen Flüsse über das schwierige Zusammenleben der Anden- und der Küstenkulturen Perus, erschien dieser Roman von Vargas Llosa, in dem auch -wie bei Arguedas- Flüsse die Erzählung prägen. Der Text behandelt parallel durch zwei Erzähler universelle Fragen wie Identität und Nation: einer mit den rationalen Mitteln wissenschaftlicher Betrachtung, der andere als “mündlicher” Erzähler, der die Sagen und Mythen der Machiguengas wiedergibt oder erfindet.
Das Buch ist auch eine zum Nachdenken anregende Darstellung des Scheiterns der Eliten Perus, die Kulturen der Indigenen Amazoniens zu verstehen. Es reflektiert aber ebenso über das Schreiben und die Bedeutung der Fiktion bei der Festigung von individueller und kollektiver Identität.
Der Geschichtenerzähler ist das Buch, das der Autor aus seinem schon damals sehr umfangreichen Werk auswählte, damit es 2011 von der Berliner Regierung anlässlich der Verleihung des Literatur-Nobelpreises an hunderttausend Berliner Lesern und Leserinnen kostenlos verteilt würde. Und zu guter Letzt ist das Werk eine mutige und respektvolle Hommage an die von ihm sozio-kulturell am weitesten Entfernten unter seinen Landsleuten.

Abendprogramm – Der literarische Abend beginnt mit einem Referat, in dem der Autor und das Buch präsentiert werden. Einige Fragen oder Thesen für die Lektüre des ausgewählten Textes werden vertieft behandelt. Dies schließt auch Fragen zu den spezifischen Herausforderungen der literarischen Übersetzung ein. Danach ist eine Diskussionsrunde mit Kommentaren, Fragen oder anderen Beiträgen vorgesehen.

Die Interessenten können sich für diese Veranstaltung vorher hier anmelden

info@migrarteperu.de

und erhalten dann zur Vorbereitung eine PDF-Datei mit einem Kernfragment des Buches, das behandelt wird.

Wir freuen uns auf Ihr Interesse und auf Ihre aktive Teilnahme!

Weitere Information über Migrarte Perú und diese Veranstaltung.

Die Organisation der Veranstaltung wird unterstützt durch Migra Up!
Die Veranstaltung wird gefördert im Programm 360° – Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft der Kulturstiftung des Bundes.


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